Trauma und Schmerz
Chronischer Schmerz und traumatische Erlebnisse stehen in einer engen, oft gegenseitig verstärkenden Beziehung. Menschen mit traumatischen Erfahrungen – sei es durch Unfälle, Gewalt oder emotionale Belastungen – entwickeln häufiger chronische Schmerzen. Gleichzeitig kann anhaltender Schmerz selbst traumatisierend wirken, insbesondere wenn er mit Hilflosigkeit und Kontrollverlust verbunden ist.
Wie Trauma und Schmerz sich gegenseitig beeinflussen
- Das Gehirn und die Schmerzverarbeitung
Trauma und Schmerz aktivieren ähnliche Gehirnareale, insbesondere die Amygdala (Angstzentrum), den Hippocampus (Gedächtnis und emotionale Verarbeitung) und den präfrontalen Kortex (Regulation von Gedanken und Emotionen). Ein Trauma kann dazu führen, dass das Gehirn überempfindlich auf Schmerzsignale reagiert, wodurch ein anhaltender Schmerzzyklus entsteht.
- Trauma verstärkt Schmerz
- Hypervigilanz (übersteigerte Wachsamkeit): Menschen mit traumatischen Erfahrungen sind oft in einem Zustand erhöhter Anspannung. Dies führt zu Muskelverspannungen, die wiederum Schmerzen verursachen oder verstärken.
- Dysregulation des Nervensystems: Ein Trauma kann das autonome Nervensystem dauerhaft in einen „Kampf- oder Fluchtmodus“ versetzen. Dies führt zu einer gesteigerten Schmerzwahrnehmung und verhindert Entspannung.
- Flashbacks und emotionale Belastung: Traumatische Erinnerungen können körperliche Schmerzreaktionen auslösen oder verstärken. Besonders bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) berichten viele Patienten von starken körperlichen Schmerzen.
- Chronischer Schmerz als Trauma
- Hilflosigkeit und Kontrollverlust: Menschen mit chronischen Schmerzen erleben oft eine zunehmende Ohnmacht gegenüber ihrem Zustand, was psychisch belastend sein kann. Dies ähnelt dem Erleben eines Traumas, bei dem sich Betroffene machtlos fühlen.
- Soziale Isolation: Lang anhaltende Schmerzen können zur sozialen Isolation führen, was wiederum depressive Symptome verstärken und den Schmerz noch intensiver machen kann.
- Medizinische Traumata: Wiederholte erfolglose Behandlungen, invasive Eingriffe oder das Gefühl, von Ärzten nicht ernst genommen zu werden, können retraumatisierend wirken.
Der Teufelskreis von Schmerz und Trauma
- Ein Trauma führt zu einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit.
- Chronischer Schmerz verstärkt emotionale Belastungen.
- Emotionale Belastung erhöht die Stressreaktion im Körper.
- Stress verstärkt Schmerzen durch Muskelanspannung und veränderte Nervenaktivität.
- Der anhaltende Schmerz sorgt für neue traumatische Erfahrungen.
Therapeutische Ansätze zur Unterbrechung des Kreislaufs
Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, braucht es eine ganzheitliche Behandlung, die sowohl den Schmerz als auch das Trauma adressiert.
- EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing): Kann helfen, traumatische Erinnerungen zu verarbeiten und die damit verbundenen körperlichen Schmerzen zu reduzieren.
- Psychotherapie: Unterstützt Betroffene dabei, schmerzverstärkende Gedanken zu verändern und neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
- Achtsamkeitsbasierte Ansätze: Techniken wie Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) oder Meditation helfen, den Körper zu beruhigen und den Schmerz anders zu erleben.
- Somatische Therapieformen: Methoden wie Traumafokusierte Körperarbeit oder Biofeedback helfen, die körperliche Anspannung zu regulieren und Schmerzen zu reduzieren.
- Entspannungstechniken: Progressive Muskelentspannung, Yoga oder Atemübungen können helfen, das Nervensystem zu beruhigen und Schmerzempfindungen zu reduzieren.
Schmerz und Trauma sind oft eng miteinander verbunden und können sich gegenseitig verstärken. Eine erfolgreiche Behandlung muss die Betroffenen ausreichen aufklären und beide Aspekte berücksichtigen – sowohl die körperlichen als auch die psychischen Komponenten. Durch gezielte therapeutische Ansätze kann dieser Teufelskreis durchbrochen und die Lebensqualität deutlich verbessert werden.
Hier sind einige wissenschaftliche Arbeiten, die den Zusammenhang und die gegenseitige Verstärkung von chronischem Schmerz und traumatischen Erfahrungen untersuchen:
- Interaktionen von Schmerz und Trauma
Eine Übersichtsarbeit der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie und Beratung (ÖGPB) hebt hervor, dass zwischen 45 % und 87 % der Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) unter chronischen Schmerzen leiden. Umgekehrt zeigen 20 % bis 34 % der chronischen Schmerzpatienten Symptome einer PTBS. Diese hohe Komorbiditätsrate deutet auf eine enge Wechselwirkung zwischen beiden Störungen hin. Die Autoren diskutieren verschiedene theoretische Modelle, die diese Beziehung erklären, darunter das „Mutual Maintenance Model“, das vorschlägt, dass PTBS-Symptome und chronische Schmerzen sich gegenseitig aufrechterhalten. ÖGPB+1Refubium+1
- Posttraumatische Belastungsstörung und chronische Schmerzen: Entstehung, Aufrechterhaltung und Behandlungsmöglichkeiten
In ihrer Dissertation an der Freien Universität Berlin untersucht Alexandra Liedl die Entstehungs- und Aufrechterhaltungsmechanismen von PTBS und chronischen Schmerzen. In einer Längsschnittstudie mit 824 Unfallpatienten fand sie heraus, dass Übererregungssymptome der PTBS die Beziehung zwischen akutem Schmerz und chronischem Schmerz mediieren können. Zudem zeigte die Studie, dass Schmerzen nach drei Monaten die Beziehung zwischen akuten und späteren PTBS-Symptomen beeinflussen. Diese Ergebnisse unterstützen die Theorie einer gegenseitigen Aufrechterhaltung beider Störungen. ResearchGate+1Refubium+1Refubium
- Chronische Schmerzen: Psychoendokrine Stressreaktion, Schmerzwahrnehmung und Komorbidität
In ihrer Dissertation an der Universität Mannheim erforschte Dagmar Baus die Wechselwirkungen zwischen chronischen Schmerzen, Stressreaktionen und begleitenden psychischen Symptomen. Die Studie zeigte, dass Patienten mit Fibromyalgie und chronischen Rückenschmerzen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen veränderte Cortisolprofile aufwiesen, was auf eine Dysregulation der Stressachse hindeutet. Diese neuroendokrinen Veränderungen könnten eine Rolle in der gegenseitigen Verstärkung von Schmerz und Trauma spielen. MADOC
- PTBS und chronische Schmerzen: Entstehung, Aufrechterhaltung und Zusammenhang – ein Überblick
In einem Übersichtsartikel diskutieren Liedl und Knaevelsrud die Mechanismen, durch die PTBS und chronische Schmerzen entstehen und sich gegenseitig beeinflussen. Sie stellen das „Perpetual Avoidance Model“ vor, das beschreibt, wie Vermeidungsverhalten und erhöhte körperliche Anspannung zur Aufrechterhaltung beider Störungen beitragen können. ResearchGate+1Refubium+1
Diese Studien verdeutlichen die komplexe Beziehung zwischen traumatischen Erlebnissen und chronischen Schmerzen und unterstreichen die Bedeutung integrierter Behandlungsansätze die beide Aspekte berücksichtigen.